09.02.2023

„Wer sich beim Ausbildungsmarketing nicht engagiert, geht leer aus“

Stephan Dietrich beobachtet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im BIBB seit langem die Veränderungen auf dem Ausbildungsmarkt. Im Interview erklärt er, worauf es beim Ausbildungsmarketing besonders ankommt – und welche Entwicklungen sich für die Zukunft abzeichnen.

Frage: Ein Hauptthema der JOBSTARTER plus-Projekte ist das Ausbildungsmarketing. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse aus der Arbeit der Projekte?

Stephan Dietrich: „Ganz klar: Das Ausbildungsmarketing ist das zentrale Thema für Betriebe. Zwar gibt es seit Jahren Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt und gerade für kleine Betriebe ist es schon immer schwierig, neue Auszubildende zu finden. Aber heutzutage suchen selbst Großunternehmen händeringend nach Azubis. Und daraus folgt: Wer sich beim Ausbildungsmarketing nicht engagiert, geht leer aus. Dies erkennen auch immer mehr Betriebe. Aber die Zahl an Unternehmen, die Unterstützung benötigen, ist immer noch sehr groß.

Durch die Corona-Pandemie hat sich die Lage nochmal zugespitzt. Und das Thema, das von den Betrieben nicht mehr ignoriert werden kann, ist das digitale Ausbildungsmarketing und das Engagement im Internet. Das fängt beim eigenen Internetauftritt an, betrifft die Nutzung der Sozialen Medien und endet nicht bei digitalen Berufemessen oder virtuellen Besuchen in den Klassenräumen der Schulen. Auch Online-Jobbörsen und Karriere-Plattformen werden für die Akquise immer wichtiger. Anzeigen in Printmedien haben hingegen für den Großteil der Betriebe inzwischen keinen relevanten Stellenwert mehr.

Die Betriebe brauchen beim „Ausbildungsmarketing 4.0“ aber Unterstützung, wie sie sie von JOBSTARTER plus-Projekten erhalten haben. Die Angebote werden weiter benötigt. Unser neues Dossier zum Thema bündelt die wichtigsten Erkenntnisse und Ergebnisse der Projektarbeit und enthält viele Tipps für Multiplikatoren und für die Betriebe selbst.“

Frage: Sind sich die Betriebe der Wichtigkeit eines modernen Ausbildungsmarketings bewusst?

Dietrich: „Die Situation ist sehr unterschiedlich. Es gibt viele Betriebe, die sich bereits gut aufgestellt haben. Aber es gibt auch sehr viele Betriebe, die zwar bemerken, dass sie kaum noch oder keine Bewerbungen mehr bekommen, aber keine Zeit und Energie haben, nach Lösungen zu suchen – gerade in Zeiten voller Auftragsbücher. Die JOBSTARTER plus-Projekte melden seit Jahren zurück, dass immer mehr Betriebe aufgeben, nach geeignetem Nachwuchs zu suchen, weil ihnen der Aufwand zu groß ist. Auch das Umdenken, dass Jugendliche nicht mehr einfach zu ihnen kommen, sondern sie sich bei den Jugendlichen bewerben müssen, fällt vielen schwer.

Es ist eine Herausforderung, sich von den gewohnten Maßnahmen zur Akquise von Auszubildenden zu lösen. Es müssten neue Konzepte entwickelt werden, aber teils fehlt es an Offenheit und Kreativität. Gleichwohl ist die Nutzung von Social-Media-Plattformen wie Instagram und Online-Recruiting-Plattformen deutlich gestiegen. Das breite Spektrum an Akquise-Möglichkeiten bereichert das Ausbildungsmarketing zunehmend.“

Frage: Was sollten kleine und mittlere Unternehmen beim Ausbildungsmarketing unbedingt beachten?

Dietrich: „Platt gesagt: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Das Bild, Jugendliche „an den Haken zu bekommen“ trifft die Situation natürlich nicht richtig. Es ist aber entscheidend, als Betrieb authentisch zu sein, den Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen, sie in ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen und auch etwas für die Qualität der Ausbildung zu tun. Also dafür zu sorgen, dass den Jugendlichen die Ausbildung „schmeckt“ - das ist schon das Wichtigste.

Und ja, Soziale Medien spielen eine wichtige Rolle. Aber Betriebe dürfen sich da auch nicht anbiedern. Es ist nicht trivial, den zum Betrieb passenden Auftritt zu finden und gleichzeitig Interesse zu wecken, gerade für kleine oder mittelständische Unternehmen. Betriebe sollten sich die Zeit nehmen, eine zu ihnen passende Ausbildungsmarketingstrategie zu entwickeln. Also ihre konkreten Aktivitäten sammeln, sichten, reflektieren und gemeinsam mit den eigenen Azubis oder anderen Jugendlichen bewerten, wie gut der Betrieb die Interessen von Jugendlichen bedient. Und dann sollten die Verantwortlichen am besten auch mit externer Expertise nach weiteren Ideen suchen.“

Frage: Welche besonderen Anforderungen stellt die Generation Z an das Ausbildungsmarketing?

Dietrich: „Besonders wichtig im Umgang mit den jungen Menschen ist eine zügige Feedback-Kultur. Die Jugendlichen insbesondere der Generation Z erwarten schnelle Rückmeldungen – auch wenn es um ihre Bewerbung geht. Wer hier zu langsam ist, hat schnell verloren. Die Erwartung der Jugendlichen setzt sich aber auch während der Ausbildung fort. Sie wünschen auch da schnelles und häufiges Feedback.

Gleichzeitig darf man nicht zu vorurteilsbeladen an die Jugendlichen herangehen. Das birgt immer die Gefahr, nur das zu sehen, was man zu sehen erwartet. So hört man manche Klagen von Personalverantwortlichen bis hin zur Weigerung, junge Menschen der Generation Z einzustellen, weil sie keine Arbeitsmoral mitbrächten. Tatsächlich haben diese Jugendlichen ihre eigenen Werte: Gesundheit, Spaß an der Arbeit und die Work-Life-Harmony spielen für sie eine wichtige Rolle. Das heißt aber nicht, dass sie nicht arbeiten wollen! Vielmehr müssen wir die Bedürfnisse ernst nehmen und nach Wegen suchen, die verschiedenen Wertesysteme zusammenzuführen.

Offenheit und Toleranz sind im Unternehmen grundsätzlich wichtig, in diesem Zusammenhang sind es aber besonders bedeutende Werte. Es ist ganz zentral, dass sie sich auch in der Führungskultur und im Ausbildungsmarketing niederschlagen. Betriebe brauchen Wege, den intergenerationellen Dialog anzustoßen. Und sie müssen dafür sorgen, dass alle voneinander lernen können – Neulinge von den alten Hasen, aber auch die Älteren von den Jüngeren.“

Frage: Was ist aktuell die größte Herausforderung für das Ausbildungsmarketing?

Dietrich: „Durch die Corona-Pandemie ging die Zahl an Bewerbungen deutlich zurück und die Besetzung offener Ausbildungsstellen wurde erheblich erschwert. Der für die Besetzung besonders wichtige persönliche Kontakt bei Schulbesuchen, Schnuppertagen und Betriebspraktika ging vollständig verloren.

Angesichts des Ukrainekrieges verschärft sich die Situation weiter. Der zentrale Trend, der sich ganz aktuell entwickelt hat, ist ein Ausbildungsstopp. Die steigenden Energiepreise sowie die allgemeine Inflation und die Unvorhersehbarkeit, wie sich Märkte entwickeln, rückt das Ausbildungsthema bei sehr vielen Betrieben ganz nach hinten auf der Prioritätenliste. Selbst bereits geschlossene Ausbildungsverträge werden storniert. Wir können alle nur hoffen, dass sich die Lage bald wieder stabilisiert.“

Frage: Und welche weiteren Trends zeichnen sich im Ausbildungsmarketing aktuell ab?

Dietrich: „Ein Punkt, der zunehmend wichtig wird, ist die sogenannte Pre-Boarding-Phase, also der Zeitraum zwischen der Entscheidung für eine Ausbildung und dem Start im Betrieb. Jugendliche können oft unter mehreren Angeboten auswählen. Unternehmen müssen sich deshalb Aktivitäten einfallen lassen, wie sie die kommenden Azubis direkt an den Betrieb binden, damit diese nicht zwischenzeitlich verloren gehen. Es braucht eine konsistente Strategie vom Azubi-Recruiting über das Pre-Boarding und Onboarding bis zur Ausbildungsumsetzung und dem Binden und Behalten der fertigen Azubis. Auch dafür finden sich in unserem Dossier viele Ideen.

Ein anderer zentraler Trend, der sich davor schon abzeichnete, ist der Bedeutungsrückgang der Ausbildung in der Wahrnehmung der Jugendlichen und deren Eltern. Die duale Ausbildung kann gegenüber der Hochschulbildung nur bestehen, wenn sie ähnliche Karriere- und Verdienstmöglichkeiten bietet. Das ist häufig auch der Fall – aber vielen nicht bekannt. Auch dies ist also ein wichtiges Thema für das Ausbildungsmarketing. Außerdem spielen übergreifende Themen wie Digitalisierung, ökologische Nachhaltigkeit und die Chancengerechtigkeit auch im Ausbildungsmarketing eine immer wichtigere Rolle. Und schließlich geht es auch um die Unternehmenskultur: Entscheidend sind die Kommunikation, der Austausch untereinander und das Verständnis für die Lebenswelt der Anderen. Diese Dinge bleiben auch in einer immer digitaler werdenden Welt wichtig.“

Stephan Dietrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programm JOBSTARTER plus und verantwortlich für das Thema „Aus- und Weiterbildung in der Wirtschaft 4.0“.
BILD: JOBSTARTER

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Heike Peters

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