01.09.2023
Azubi-Mangel: Wie Unternehmen mit der Situation umgehen
Der Mangel an Auszubildenden ist groß: Im September letzten Jahres blieben in Nord-Westfalen von den 18.772 gemeldeten Ausbildungsstellen 1.086 unbesetzt. Unternehmen kommen Ausbildungsinteressenten deshalb sehr weit entgegen. Beispiele aus der Region zeigen, wie das aussehen kann.
Azubis fürs Wachstum
„Unser Unternehmen will bis 2030 deutlich wachsen, auch personell, das heißt: Wir brauchen mehr Fachkräfte“, erklärt Kimberley Millbaier, Ausbildungsleiterin bei der Westfalen AG, einem Familienunternehmen aus Münster.
So setzt der Betrieb auf unterschiedliche Off- und Online-Wege, um Nachwuchskräfte zu rekrutieren. „Wir haben zum Beispiel einen eigenen Azubi-Kanal auf Instagram, der von den Auszubildenden selbst geführt wird“, sagt sie. Zudem präsentiert das Unternehmen die Stellenangebote auf Jobportalen wie Ausbildung.de, Azubiyo und StepStone oder nutzt GoogleAds. „Wir haben zudem zahlreiche Schulkooperationen. Dort bieten wir unter anderem Bewerbungstrainings an.“
Die Stellschrauben hat das Unternehmen auch im Bewerbungsverfahren nachgezogen: „Hier haben wir gelernt, schneller zu sein. Denn Schnelligkeit zählt. Und nichts ist aus Sicht der Bewerber schlimmer, als lange auf eine Rückmeldung zu warten“, so Millbaier.
Ist der Plan aufgegangen und die Nachwuchskräfte wurden begeistert, gilt es die Messlatte in Puncto Ausbildungsqualität hochzuhalten. Ein Kennenlernnachmittag, bezahlte Auslandspraktika und eigenverantwortliche soziale Projekte sind nur einige Instrumente, mit denen das Unternehmen arbeitet.
Die Jugendlichen kämen zwar nicht allein wegen des Geldes – aber auch. Darum geht Millbaier offen mit dem Thema Gehalt um: „Auszubildende erwartet bei uns ein Gehalt, das durch den Chemietarif geregelt ist. Außerdem Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und ein Zukunftsbetrag, der ausgezahlt wird.“ Bei Westfalen gilt die 37,5-Stunden-Woche, es gibt 30 Tage Urlaub und die Möglichkeit, mobil zu arbeiten. Um die ausgebildeten Fachkräfte zu halten, unterstützt der Betrieb zudem berufsbegleitend Studierende finanziell.
Den generellen Vorwurf, dass die junge Generation teilweise eine andere Einstellung zur Arbeit hat, lässt Kimberley Millbaier nicht gelten: „Die Jugendlichen sind auch heute bereit, viel zu leisten, sich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen, aber niemand will abends ausgebrannt auf dem Sofa liegen.“ Stattdessen seien ein offenes, gutes Miteinander und die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, wichtige Faktoren für einen Ausbildungsplatz.
Gen Z verstehen
Das bestätigt Saskia Greis, Head of People & Culture bei der Weicon GmbH & Co. KG: „Heute sind es die Unternehmen, die sich bei den künftigen Fachkräften bewerben.“ Genau das macht das auf Klebstoffe spezialisierte Industrieunternehmen mit Sitz in Münster, indem es auf eine starke Unternehmenskultur und zahlreiche Benefits setzt. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen sich viel lieber mit der Unternehmenskultur identifizieren als mit der Produktwelt. Heißt, Klebstoffe mögen bei der Gen Z zumindest anfangs nicht die allergrößte Begeisterung auslösen – Selbstbestimmung, ein Miteinander auf Augenhöhe und attraktive Zusatzleistungen allerdings schon“, so Greis.
Weicon bildet Fachinformatiker Systemintegration, Fachlageristen, Industriekaufleute, Mediengestalter und dual Studierende aus. Das Unternehmen versucht, bei der Azubi-Werbung möglichst authentisch zu sein. „Das bedeutet, wir lassen unsere Auszubildenden die Werbetrommel rühren“, so Greis. Sie präsentieren auf dem eigenen Social-Media-Kanal Benefits wie eine flexible Arbeitszeitgestaltung oder die Möglichkeit für ein Auslandspraktikum in einer der Niederlassungen. „Sie stellen sich auch als Models für die Imagekampagne unserer Karriereseite vor die Kamera“, erklärt die Personal-Expertin.
Trotz allem: „Diejenigen, die Lust auf eine Ausbildung haben, kümmern sich meinem Empfinden nach viel später proaktiv um eine Ausbildungsstelle als früher“, so Greis. Um die Spätentschlossenen für sich zu gewinnen, sind Bewerbungen darum mittlerweile das ganze Jahr über möglich.
„Die Gen Z legt großen Wert auf Flexibilität. Diese muss man als moderner Arbeitgeber bieten können“, ist Greis überzeugt. Auszubildenden, die nach Abschluss der Ausbildung noch studieren möchten, ermöglicht Weicon, während des Studiums als Werkstudent tätig zu sein – „mit Aussicht auf erneute Festanstellung nach der Studienzeit.“
Azubi fliegt aus
Schulabgänger haben die Qual der Wahl – und Unternehmen eine harte Nuss zu knacken. Darum bietet die Krampe Fahrzeugbau GmbH aus Coesfeld seinen Auszubildenden ein Praktikum im Ausland an. Für das Unternehmen ist das ein Mehrwert – denn die Auszubildenden verbessern ihre Fremdsprachkenntnisse, lernen neue Arbeits- und Lebensgewohnheiten kennen und bringen neue Impulse mit ins eigene Unternehmen. Das Unternehmen wiederum profitiert von der Motivation und setzt einen Anreiz, nach der Ausbildung im Betrieb zu bleiben.
Der Krampe-Azubi Fabian Stöppel hat im dritten Lehrjahr ein dreiwöchiges Praktikum bei TBS, einem dänischen Fendt-Full-line-Händler, absolviert. „In Sachen Vorbereitung und Planung hat uns die IHK Nord Westfalen tatkräftig und unkompliziert unterstützt“, berichtet Michael Bussmann, betrieblicher Ausbilder beim Anhänger-Hersteller Krampe.
Von Dänemark bis Spanien: Über das IHK-Programm „Ab ins Ausland“ und die IHK-Mobilitätsberatung können Unternehmen ihre Azubis für drei bis dreizehn Wochen in eins von neun europäisch Länder schicken. Bussmann ist mit dem IHK-Service zufrieden: „Die anfängliche Angst vor dem Bürokratiemonster konnte uns schnell genommen werden“, erzählt er. Er hebt den schnellen und unkomplizierten Austausch hervor: „Wir konnten uns bei Rückfragen jederzeit per Telefon oder Mail an die IHK-Mitarbeiter wenden.“
Azubi Fabian Stöppel ist voll des Lobes für seine Auslandserfahrung: „Ich würde es definitiv nochmal machen und kann es nur weiterempfehlen.“ Im Video berichtet er, welche Erfahrungen er während seines Auslandsaufenthaltes in Dänemark gemacht hat.
Um Schulabgänger für sich zu begeistern, setzt Krampe zudem auf den direkten Kontakt zu den Jugendlichen: „Als sehr gute Instrumente haben sich die Jobmesse CoeMBO sowie die Berufsfelderkundungstage erwiesen“, so Bussmann. Der Betrieb nutzt soziale Netzwerke, schaltet Werbung sowohl im Radio als auch im Kino. „Regelmäßig lassen wir einige unserer Auszubildenden zum Ausbildungsbotschafter schulen und gehen dann in die Klassen der weiterführenden Schulen“, berichtet der Ausbildungsexperte.
Ausbildungsbotschafter sind Auszubildende aus unterschiedlichen Berufen. Sie erzählen vor Schulklassen von ihren eigenen Gedanken bei der Berufswahl und geben Einblicke in ihren Arbeitsalltag, Inhalte ihrer Ausbildung und Karrierechancen.